Bei den Graphics handelt es sich um grafische Umsetzungen von antisemitischen Vorfällen, die von RIAS-Meldestellen dokumentiert wurden. Sie verdeutlichen den alltagsprägenden Charakter des gegenwärtigen Antisemitismus.
Um eine Anonymisierung der betroffenen Personen zu gewährleisten, wurden drei Figuren entwickelt: Die 13-jährige Leona (Leo), ihr Vater David und ihre Großmutter Rita. Die Graphics geben einen Einblick in den Alltag der drei Familienmitglieder, die mit verschiedenen Erscheinungsformen von Antisemitismus konfrontiert sind. Die Graphics vermitteln einen Eindruck, wie sich Antisemitismus auf Jüdinnen_Juden auswirken kann. Perspektiven von Betroffenen und ihr Umgang mit Antisemitismus, insbesondere bezüglich der Folgen für das eigene und familiäre Sicherheitsgefühl, aber auch die Resilienz gegen alltäglichen Antisemitismus werden thematisiert. Antisemitismus in seinen aktuellen Erscheinungsformen zu erkennen, der Wahrnehmungsdiskrepanz zwischen Jüdinnen_Juden und der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft entgegenzuwirken, für die Folgen von Antisemitismus zu sensibilisieren und Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten aufzuzeigen, sind Ziele der Arbeit mit den Graphics.
Ziele
Ziel ist es, die Teilnehmenden in Bezug auf antisemitische Vorfälle und die Perspektiven von Betroffenen zu sensibilisieren bzw. zu empowern und ggf. an eigene Alltagserfahrungen anzuknüpfen. Die Teilnehmenden setzen sich mit der Diskrepanz der Wahrnehmung von Antisemitismus zwischen Jüdinnen_Juden und der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft auseinander und werden angeregt, die eigene Wahrnehmung zu reflektieren. Sie verstehen die Bedeutung von Resilienz und nähern sich Diskussionen um jüdische Identität, Sichtbarkeit und Sicherheit an. Zudem erkennen sie die verschiedenen Erscheinungsformen von Antisemitismus und verstehen, wie sich antisemitische Vorfälle auf das Alltagsleben von Jüdinnen_Juden auswirken können, und werden motiviert, sich im Alltag gegen Antisemitismus zu positionieren sowie sich mit Betroffenen zu solidarisieren.
Zielgruppen
Erwachsene in Betrieben, Polizei, Justiz und Verwaltung, Multiplikator_innen, Studierende, Schüler_innen (ab 14/15 Jahren) und Jugendliche und Erwachsene in anderen Weiter- und Ausbildungseinrichtungen.
Zeit
1,5 – 2,5 Stunden – je nach Form der Durchführung, der Diskussionsfreudigkeit sowie den Bedürfnissen und Interessensschwerpunkten der Gruppe kann mehr oder weniger Zeit eingeplant werden.
Voraussetzungen
Für Teilnehmende (TN):
Antisemitismus sowie die Schoa und der Nationalsozialismus sind den TN in Ansätzen bereits bekannt oder werden in Vorbereitung auf die Graphics thematisiert.
Für Anleitende (AL):
AL bringen Hintergrundwissen zu den in den Graphics behandelten Themen mit. Dazu zählen insbesondere die von RIAS definierten fünf Erscheinungsformen von Antisemitismus (siehe Erscheinungsformen). Außerdem sind AL darauf vorbereitet, auf Fragen der TN zu den Themen Schoa, Nationalsozialismus sowie zu den weiteren, in den Graphics behandelten, Themen einzugehen.
Räumlichkeiten:
Je nach Umsetzung der Methode kann für die Arbeit in der Gesamtgruppe/im Plenum ein Raum ausreichend sein. Wenn in Kleingruppen gearbeitet wird, sollte es möglich sein, im Raum verteilt in Ruhe zu diskutieren. Falls mehrere Räume zur Verfügung stehen, können die Kleingruppen in diesen arbeiten.
Materialien:
Entsprechend der Anzahl der TN werden ausgedruckte Graphics mit den dazugehörigen Fragestellungen und den Biografien der Figuren bereitgestellt. Gegebenenfalls werdenn zusätzlich die Graphics mit leeren Sprechblasen (Download unter den einzelnen Graphics) verteilt oder alternativ entsprechende technische Endgeräte zur Verfügung gestellt, um die Materialien allen zugänglich zu machen. Gegebenenfalls sollten Ausdrucke mit den antisemitischen Erscheinungsformen und den entsprechenden Erläuterungen für eine Präsentation durch die AL und die entsprechende Übersicht über die Erscheinungsformen für die TN ausgehändigt werden.
Methode
Die TN nähern sich anhand der Graphics der Alltäglichkeit von antisemitischen Vorfällen an. Die Graphics und die Fragestellungen dienen dazu, einen Diskussionsrahmen zu schaffen: Es geht darum, sich den Situationen von und den Erfahrungen mit Antisemitismus und den entsprechenden Entgegnungen empathisch anzunähern und gemeinsam mögliche Positionierungen und Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten zu reflektieren.
Hinweise:
- Die AL stellen anhand der hier vorgestellten Methodenvarianten eine Auswahl zusammen, die zugeschnitten ist auf die Bedürfnisse der Gruppe und den zeitlichen Rahmen.
- Das Graphic „Der Beutel“ behandelt keine antisemitische Erscheinungsform, sondern die Themen Resilienz und Stärkung jüdischer Identität sowie Strategien im Umgang mit Antisemitismus. Deshalb empfehlen wir, dieses Graphic vor oder nach der Kleingruppenarbeit gemeinsam in der Gesamtgruppe zu besprechen, anstatt es mit in eine Kleingruppe zu geben.
- Die beiden Graphics „Die Markierung“ und „Die Demo“ sind in der Bearbeitung komplexer und daher zeitaufwendiger, das muss bei der Bearbeitung in Kleingruppen beachtet werden. Es empfiehlt sich, diese beiden Graphics unabhängig von den anderen Graphics zu bearbeiten.
Ablauf
Die AL führen die TN in die Entstehungshintergründe der Graphics und die Arbeit mit antisemitischen Vorfällen von RIAS ein (siehe Hintergrund). Im Anschluss wird das weitere Vorgehen erläutert. Je nach Rahmenbedingungen (Diskussionsbedarfe, Gruppengröße, Zeitrahmen usw.), bieten sich verschiedene Varianten an. Die AL können entweder alle Graphics zum Bearbeiten auswählen oder nur einige. In jedem Fall empfiehlt es sich, das Graphic „Der Beutel“ miteinzubeziehen, da hier die Themen Resilienz sowie Sicherheit und Sichtbarkeit behandelt werden. Unabhängig von der gewählten Variante kommen die TN abschließend in der Gesamtgruppe zusammen, stellen ihre jeweiligen Graphics und die behandelten Fragen vor und diskutieren gemeinsam die Reflexionsfragen zur Auswertung (siehe unten).
Varianten
Einbettung/Rahmung:
Um den TN ein besseres Verständnis von den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Antisemitismus zu vermitteln, ist es empfehlenswert, diese vorab in Form eines kurzen Inputs vorzustellen (siehe Erscheinungsformen). Die Begriffe für die Erscheinungsformen und die dazugehörigen Erläuterungen können im Raum ausgelegt oder aufgehängt werden und bleiben für alle sichtbar hängen/liegen, um im weiteren Verlauf genutzt werden zu können (Zeitaufwand 15 – 20 Min.). In der Auswertung werden die verschiedenen Vorfälle der Graphics den jeweiligen Erscheinungsformen zugeordnet. Einige der Graphics beinhalten miteinander verschränkte Formen von Antisemitismus und können daher verschieden zugeordnet werden. Wichtiger als eindeutige Zuordnungen ist die inhaltliche Diskussion in der Gruppe.
Interaktive Gestaltung der Wissensabfrage:
Die Methode kann auch interaktiv gestaltet werden, indem per Zurufabfrage die TN zunächst nach ihrem Wissen/ihren Einschätzungen zu den Erscheinungsformen gefragt werden.
Arbeit in der Gesamtgruppe:
Die TN bekommen die Biografien und gehen diese gemeinsam durch, mögliche Nachfragen können die AL beantworten. Anschließend werden die Graphics ausgeteilt oder auf einem technischen Endgerät präsentiert und in der Gesamtgruppe besprochen: Zunächst fasst ein_e TN jeweils kurz zusammen, was in dem jeweiligen Graphic passiert, ohne den Inhalt zu analysieren. Dann werden die dazugehörigen Fragen in der Gesamtgruppe diskutiert. Diese Variante ist zu empfehlen, falls es in der Gruppe wenig Vorwissen zum Thema Antisemitismus gibt und damit die AL die TN durch die Fragen navigieren können. Möglich ist es auch, mit einem Graphic gemeinsam anzufangen, bspw. mit dem Graphic „Der Beutel“, und weitere in Kleingruppen zu diskutieren.
Arbeit in Kleingruppen:
Die TN teilen sich in ungefähr gleich große Kleingruppen auf. Sie erhalten die Biografien und jeweils eine Graphic mit den dazugehörigen Fragen. Diese werden in den Kleingruppen diskutiert und sollen später in der Gesamtgruppe vorgestellt werden (Zeit für die Kleingruppe etwa 30 Min.). Im Anschluss kommen die Kleingruppen wieder in der Gesamtgruppe zusammen und stellen nacheinander die Graphics und die jeweiligen Diskussionsstränge und -ergebnisse vor (Zeit etwa 20-30 Min.). Es ist zudem sehr hilfreich, eine Übersicht über die Erscheinungsformen mit in die Kleingruppe zu geben (siehe Erscheinungsformen).
Arbeit mit den Graphics ohne Text:
Statt der beschrifteten Graphics bekommen die TN in den Kleingruppen zunächst die Versionen mit den leeren Sprechblasen (siehe die Downloadoption Graphics ohne Text). Die TN erhalten die Aufgabe, sich die Situation zu erschließen und zu überlegen, was vorgefallen sein könnte. Sie sollen keinen Text in die Sprechblasen schreiben, sondern die Situation rekonstruieren (Zeitaufwand etwa 10 – 15 Min.). Im Anschluss erhalten sie die Graphics mit Text und die dazugehörigen Fragen. Bei der Vorstellung in der Gesamtgruppe beziehen sie dann auch ihre anfänglichen Überlegungen zu den Graphics ohne Text mit ein.
Reflexionsfragen für die Auswertung
Nach der Vorstellung der einzelnen Graphics und der Arbeit mit den dazugehörigen Fragen in der Gesamtgruppe werden gemeinsam die Reflexionsfragen diskutiert, die sich auf alle Graphics beziehen. Es ist wichtig, an diesem Punkt zu betonen, dass nur das in der Gesamtgruppe geteilt werden soll, was die TN teilen wollen. Auf keinen Fall dürfen Einzelne genötigt werden, etwas zu sagen, insbesondere bezogen auf Frage 2.
- Diskutiert, welche Reaktionen die Mitglieder der Familie jeweils wählen, um mit den antisemitischen Vorfällen umzugehen? Überlegt, welche Reaktionen stärkend oder empowernd sein können?
- Überlegt zunächst, ob ihr Antisemitismus im Alltag bereits wahrgenommen habt. Wie hat sich der Antisemitismus geäußert? Und wie erging es Euch in der Situation? Hat sich jemand in dieser Situation deutlich gegen Antisemitismus positioniert? Erfolgte eine Solidarisierung mit Betroffenen? Teilt in der Gesamtgruppe nur das, was ihr teilen wollt.
- Diskutiert, wie sich Anwesende/Umstehende in diesen Situationen in den Graphics verhalten? Haben sie sich gegen Antisemitismus positioniert? Welche Formen von solidarischen Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten hätte es (noch) gegeben?
Weiterarbeit
Für eine mögliche Weiterarbeit bieten sich die Interviews an.
Der Beutel
Zwischen Leo und ihrem Vater David entwickelt sich ein Konflikt: Dieser dreht sich um das Abwägen von Sicherheit und Sichtbarkeit in Bezug auf die eigene jüdische Identität und damit zugleich um Fragen der Resilienz. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Strategien im Umgang mit Antisemitismus im Alltag.
Der Kuchen
Während der Coronapandemie geht David in ein Testzentrum. Dort wird er von einer medizinischen Fachkraft nach einem zunächst freundlichen Gespräch mit antisemitischen Verschwörungsmythen konfrontiert.
Die Kette
Rita befindet sich im Wartezimmer einer Praxis, als sie auf ihre Davidstern-Kette angesprochen wird, durch welche sie als Jüdin sichtbar ist. Sie sieht sich einer antisemitischen Reaktion ausgesetzt, doch niemand solidarisiert sich mit ihr.
Makkabi
Leo nimmt an einem Fußballspiel ihres Makkabi-Vereins teil. Die Spieler_innen des gegnerischen Teams beschimpfen und bedrohen das Makkabi-Team antisemitisch. In diesem Graphic geht es um jüdische Identität und Umgangsweisen mit Antisemitismus.
Die Nachbarin
David wird zufällig Zeuge eines Gesprächs zwischen Nachbarinnen in seinem Wohnhaus. Er hört, wie eine der Nachbarinnen über seine Familie redet und antisemitische Bemerkungen macht. Dabei geht es um antijudaistischen Antisemitismus, Resilienz und Schuldumkehr.
Die Markierung
In diesem Graphic werden die Auswirkungen des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Jüdinnen_Juden in Deutschland behandelt. Im Kontext des drastischen Anstiegs antisemitischer Vorfällen wurden auch Wohnhäuser, in denen Jüdinnen_Juden leben mit Davidsternen markiert.
Die Demo
Rita, David und Leo gehen in der Stadt spazieren, als sie zufällig an einer Demonstration vorbeikommen. Als David von einem Teilnehmer einen Flyer in die Hand gedrückt bekommt, wird klar, dass es sich dabei um eine Demo der antiisraelischen BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) handelt. Nachdem David den Inhalt des Flyers kritisiert, wird er antisemitisch beleidigt und angegriffen.
Die Graphics wurden illustriert von Anja Tchepets.